Nationale Souveränität ist in weiten Teilen des herrschenden Diskurses in Verruf geraten. Aber nicht, weil die Interessensvertreter der besitzenden Klassen den Nationalstaat auflösen wollen. Im Gegenteil: Dieser soll dem globalen Machtanspruch führender Kapitalgruppen entsprechend auf eine höhere, supranationale Ebene gehoben werden. Auf diese Weise bleibt die Funktion des Nationalstaats, nämlich die Durchsetzung von Klasseninteressen und die Aufrechterhaltung von Ausbeutungsstrukturen, nicht bloß erhalten, sondern wird erweitert.
In den USA ist die "nationale Souveränität" längst zum Werkzeug großräumig agierender US-Konzerne mutiert, die sich mit Hilfe des militärisch-industriellen Komplexes über das Völkerrecht stellen. Die Europäische Union wiederum versucht, Souveränität aus dem nationalen Kontext ihrer Mitgliedsstaaten zu lösen und damit dem Verwertungsdruck großer Unternehmen gerecht zu werden.
Angesichts des dominierenden Klassencharakters der Nation stellt Samir Amin die Frage, ob die antiimperialistische Linke sich vom Projekt einer nationalen Souveränität verabschieden sollte - und verneint dies. "Man darf die Verteidigung der Souveränität nicht dem bürgerlichen Nationalismus überlassen. Sie ist entscheidend für die Wahrung einer volksdemokratischen Alternative als Etappenziel auf dem Weg zum Sozialismus", schreibt er. Jahrzehntelange Erfahrungen der Völker in den Peripherien zeigen, dass es möglich ist, einen fortschrittlichen Nationalismus zu entwickeln, der die vom Kapital getriebene herrschende Weltordnung überwinden kann.
In den drei Kapiteln seines Buches diskutiert Samir Amin die Volkssouveränität als Alternative zur liberalen Globalisierung sowie die Notwendigkeit einer bäuerlichen Landwirtschaft zur Herstellung von Ernährungssicherheit und analysiert die Blockaden für eine soziale Transformation im "globalen Norden", die es zu überwinden gilt.