Die Studie der Coburger Hochschule/IAB arbeitet heraus, dass die Anzahl der Erwerbspersonen aus rein demographischen Gründen bis 2050 um ein Drittel vermindert sein wird. Sie nimmt deshalb zwei Faktoren in den Fokus, die diesem dramatischen Arbeitskräftemangel entgegenwirken können: Eine höhere Erwerbsbeteiligung und die Immigration aus EU und Drittstaaten. Insbesondere zum politisch heiß diskutierten Thema Zuwanderung kommen die Autoren zu folgendem Schluss: Weder eine höhere Ausschöpfung inländischer Erwerbspotenziale noch die Zuwanderung aus EU-Ländern können den Arbeitskräftemangel ausgleichen. Letztere wird ihrerseits aus demographischen Gründen abnehmen. Womit die Zuwanderung aus Drittstaaten verbleibt. Die wesentliche Feststellung der Autoren an die Politik lautet dabei, dass der steuerbare Teil der Migration ökonomisch sinnvoll geregelt werden muss. Ansonsten können sich mögliche positive Effekte der Zuwanderung ins Negative verkehren. Die Studie "Immigration und Arbeitsmarkt - Eine Langfristprojektion zur Wirkung von Zuwanderung auf das Arbeitskräfteangebot in Deutschland" der Coburger Reihe der Coburger Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), erschienen Juli 2017 im Verlag Edition Aumann, berechnet und stellt diese Entwicklungen von 2014 bis 2050 ausführlich und in abwägenden Nuancen eindrucksvoll dar.
Der demographische Wandel und die damit verbundene Schrumpfung der Zahl von Arbeitskräften werden den deutschen Arbeitsmarkt in den nächsten Dekaden entscheidend formen. Die vorliegende Studie berechnet, dass das Potenzial an Erwerbspersonen aus rein demographischen Gründen, das heißt ohne Berücksichtigung von Zuwanderung und bei unveränderten Erwerbsquoten, zwischen 2014 und 2050 um ca. 15 Millionen Arbeitskräfte, d.h. um ein Drittel, sinken wird. Der Bedarf an Arbeitskräften wird sich demgegenüber kaum verringern. Vor diesem Hintergrund nimmt die Studie zwei Faktoren in den Blick, welche die Schrumpfung des Arbeitskräfteangebots maßgeblich beeinflussen können, die Erwerbsbeteiligung und die Zuwanderung.
Es zeigt sich, dass höhere Erwerbsquoten von Frauen und Älteren dem negativen Trend nicht entscheidend entgegenwirken können. Selbst eine extreme Ausreizung von Erwerbspotenzialen ("Rente mit 70") kann den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials nur zeitweilig aufhalten. Längerfristig setzt sich der demographische Trend durch: Die Bevölkerung im Erwerbsalter sinkt stärker als ihre Erwerbsbeteiligung überhaupt steigen kann. Das gesamte zusätzliche Potenzial, das aus einer extremen Steigerung der Erwerbsquoten resultiert, wird für das Jahr 2035 auf reichlich vier Millionen, für 2050 auf nur noch 3,2 Millionen Personen geschätzt.
Hinsichtlich der Zuwanderung zeigt die Studie, dass die gegenwärtig zu verzeichnenden hohen Nettozuzüge aus den (ost- und südosteuropäischen) EU-Staaten sukzessive abnehmen werden. Die demographische Struktur der Hauptherkunftsländer sowie ökonomische Aufholprozesse werden das Niveau der Wanderungsgewinne Deutschlands gegenüber den EU-Staaten mittelfristig erheblich absenken. Im Hinblick auf die Drittstaaten-Zuwanderung sieht die Studie stärkere Potenziale, auch wenn sie die jüngsten asylbedingten Wanderungsgewinne als vorübergehend einschätzt. EU- und Drittstaaten-Migration zusammengenommen wird eine durchschnittliche jährliche Nettozuwanderung bis 2050 in der Spanne von 220.000 bis 290.000 Personen erwartet, mit einem deutlich negativen zeitlichen Trend.
Auch eine Zuwanderung dieser Größenordnung kann den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials in der langen Frist nicht vollständig stoppen. Dennoch wird der Rückgang signifikant gebremst - sowohl in quantitativer als auch in zeitlicher Dimension. Gegenüber dem Jahr 2014 beläuft sich der Rückgang im oberen Szenario im Jahr 2035 auf gerade einmal zwei Prozent, bis 2050 beträgt die Schrumpfung dann sieben Prozent. Damit lässt sich konstatieren, dass das aus heutiger Sicht erwartbare Volumen an Zuwanderung - insbesondere aus Drittstaaten - dem Rückgang des Arbeitskräfteangebots signifikant entgegenwirkt.
Für die Migrations- und Integrationspolitik stellt sich allerdings eine besondere Herausforderung: Gegenwärtig ist die Immigration aus Drittstaaten als arbeitsmarktfern einzustufen. Für die Zukunft gilt es zumindest den steuerbaren Teil der Migration in ökonomisch sinnvoller Weise zu regeln. So kann erreicht werden, dass Zuwanderer nicht nur das Arbeitskräfteangebot erhöhen, sondern auch adäquate Beschäftigungschancen haben und nicht in der Erwerbslosigkeit landen. Andernfalls könnte sich die ökonomische Bilanz der Zuwanderung ins Negative verkehren.